Forum 2 – Organisation und Kinderrechte

Martina Kriener (Moderation) – Fachhochschule Münster

Tilmann Fuchs – Leiter Kreisjugendamt Steinfurt

Dr. Friedhelm Höfener – Geschäftsführer OUTLAW gGmbH für Kinder- und Jugendhilfe mbH, Greven

Prof. Dr. Carola Kuhlmann – Professorin für Erziehungswissenschaft an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Bochum

„Macht und Missbrauch in pädagogischen Institutionen“ ist Befund und Provokation der jüngsten Analysen pädagogischer Praxis im Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart. Wie kann und muss durch Organisation in Jugendämtern, Heimen oder Schulen gerahmt und ermöglicht werden, dass Kinder und Jugendliche sich ihrer Rechte bedienen und pädagogische Fachkräfte diese Reche zur Grundlage ihres Handelns machen, ohne naiv die ständige Bedrohung durch ihre Pädagogik zu übersehen?  Welche Verantwortung haben Leitungen, was muss durch Strukturen gesetzt und worüber müssen sich alle - Pädagogen, junge Menschen, ihre Eltern und Leitungen in Organisationen - immer wieder neu verständigen?  

Abstracts

Tilmann Fuchs

Kinderrechte und Jugendamt – der oder die Eine wird sagen: „Na klar, das gehört zusammen wie Sommer mit Sonne und Winter mit Schnee“. Der oder die Andere wird sagen: „Kinderrechte und Jugendamt – mehr Widerspruch geht kaum.“ Die Organisation „Jugendamt“ und mit ihr die freien Träger als Kooperationspartner mit den Angeboten und Einrichtungen stehen wohl tatsächlich tagtäglich im Spannungsfeld zwischen der Umsetzung der Kinderrechte und der Machtasymmetrie zwischen Hilfesuchendem und Fachkräften sowie im Spannungsfeld zwischen Eltern- und Kinderrechten. Eine offene Kultur zur Diskussion der unterschiedlichen Pole ist möglicherweise Lösung, aber auch Problem zugleich. Wie geht gute Partizipation im Alltag und wie schaffen wir (trotzdem) Verbindlichkeit? Wie handeln wir rechtssicher und haben dennoch den individuellen Auftrag des Kindes, des Jugendlichen oder auch der Eltern im Blick? Klare Antworten sind hier schwierig, aber eine ständige Auseinandersetzung darüber ist notwendig – auch in diesem Forum.

Dr. Friedhelm Höfener                              

Das Thema Kinderrechte fordert einen Freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe in zweifacher Hinsicht. Einerseits geht es um die Vermittlung der Kinderrechte als einen grundsätzlichen Auftrag. Kinder und Jugendliche müssen ihre Rechte kennen und dabei unterstützt werden, zu ihrem Recht zu kommen. Anderseits muss die Organisation die pädagogischen Fachkräfte immer wieder neu für dieses wichtige Thema sensibilisieren, damit es nicht in Routine erstarrt. Eine zentrale Aufgabe in diesem Kontext ist die Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Diese kann nur gelingen, wenn die Organisation die Entwicklung einer partizipativen Haltung ermöglicht. Diese bezieht sich jedoch ausdrücklich auf die gesamte Organisation und nicht allein auf die pädagogische Arbeit. Der Beitrag wird Handlungsfelder aufzeigen und einen Einblick geben, wie diesen Anforderungen in der Praxis eines Freien Trägers begegnet wird.

Prof. Dr. Carola Kuhlmann

Schlechte „Traditionen“ in der Organisation der Erziehungshilfe: was wir aus der Geschichte lernen können - Betrachten wir die Fälle von Machtmissbrauch und Missachtung von Kinderrechten in der früheren Heimerziehung, so lag das Versagen nicht nur im persönlichen Handeln von ErzieherInnen, sondern hatte sozusagen „System“. Jugendamt und Vormundschaftsgerichte einerseits, die Jugendhilfeträger und Heime andererseits haben oftmals bei der Veranlassung, Überwachung und Durchführung von Erziehungshilfen versagt: es gab eine „Verantwortungskette“, die bis heute existiert. Drei Punkte sollen in meinem Beitrag fokussiert werden: 

1. Mängel in der Heimaufsicht und  Berufsvormundschaft
Durch die Aufarbeitung der früheren Heimerziehung wurde deutlich, dass es auf Seiten der Heimaufsicht und der Jugendämter durchaus ein Wissen um „schlechte“ Heime gab (oft die für die „Schwierigen“), genauso gab es aber einen Mangel an Konsequenzen wegen der Abhängigkeiten der Jugendämter von eben diesen Heimen (weil sie die „Schwierigen“ unterbringen mussten) und der Personalunion von Berufsvormundschaft und Unterbringungsbehörde.

2. Erziehung versus Therapie und Strafe
In Bezug auf das Verhältnis der Heime zur Jugendpsychiatrie einerseits und dem Jugendstrafvollzug andererseits wurde deutlich, dass von beiden Seiten Erwartungen an die Erziehungshilfe existieren und „Behandlungsempfehlungen“ ausgesprochen werden, die den Kinderrechten und einer dialogischen Pädagogik zuwider laufen (Medikation, Therapie, Strafe).

3. Pädagogische Leitungsverantwortung
Schließlich wurde in Bezug auf die Leitungsebene in Heimen deutlich, wie wichtig die Verantwortung für gutes Personal, die Kooperation mit Eltern und Ämtern sowie die Transparenz und die Öffnung in den Sozialraum gewesen wären. Verwaltungslogik, Kinderrechte und pädagogische Verantwortung widersprechen einander häufig. Besondere Aufmerksamkeit verlangt auch die Gefahr, dass sich pädophile Fachkräfte bewusst in Erziehungshilfeeinrichtungen bewerben oder Kinder und Jugendliche untereinander sexuelle Gewalt ausüben: hier ist eine offensive Informationspolitik gefragt. Insgesamt war und ist Leitung in der Erziehungshilfe ein kreativer Kraftakt – auch angesichts der bis heute existierenden strukturellen Ressourcenarmut.

Tilmann Fuchs

Kinderrechte und Jugendamt – der oder die Eine wird sagen: „Na klar, das gehört zusammen wie Sommer mit Sonne und Winter mit Schnee“. Der oder die Andere wird sagen: „Kinderrechte und Jugendamt – mehr Widerspruch geht kaum.“ Die Organisation „Jugendamt“ und mit ihr die freien Träger als Kooperationspartner mit den Angeboten und Einrichtungen steht wohl tatsächlich tagtäglich in dem Spannungsfeld zwischen der Umsetzung der Kinderrechte, der Machtasymmetrie zwischen Hilfesuchendem und Fachkräften und auch im Spannungsfeld zwischen Eltern- und Kinderrechten. Eine offene Kultur zur Diskussion der unterschiedlichen Pole ist möglicherweise Lösung, aber auch Problem zugleich. Wie geht gute Partizipation im Alltag und wie schaffen wir (trotzdem) Verbindlichkeit? Wie handeln wir rechtssicher und haben dennoch den individuellen Auftrag des Kinder, des Jugendliche oder auch der Eltern im Blick? Klare Antworten sind hier schwierig, aber eine ständige Auseinandersetzung darüber ist notwendig – auch in diesem Forum.